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"Lift up your free Spirit" Eine philosophische Annäerung an die Papierobjekte von Regina Reim
In ihren neuesten dreidimensionalen Arbeiten formt Regina Reim eindrucksvolle und anmutige Papierobjekte. Ob nahezu schwerelos, von der Decke hängend, im Raum schwebend, auf bemalter Leinwand fixiert oder frei im Raum stehend, faszinieren sie durch ihre filigrane Leichtigkeit und poetische Ausdruckskraft. Regina Reims dreidimensionale Papierobjekte sind zweifach zu sehen. Einmal sind sie ein Kulminationnspunkt ihrer lebenslangen Beschäftigung mit Raum, Zeit und Rhytmus in der Kunst und zum anderen sind sie der Ausgangspunkt einer kritischen Beschäftigung der Rezipienten mit ihren Werken. Dieser Dialog ist in seiner Dialektik die Grundlage jedes Erkenntnisprozesses, bei dem der Nebel sich lichtet und der Schein schwindet (*1). Denn zuerst ist der Mensch in einer Allgemeinheit der Sprache und Gebräuche, in die er hineingeboren wurde, gefangen. Im Laufe einer kritischen Selbstreflexion wird er idealerweise immer stärker zu sich selbst geführt. Die dialektische Stufenleiter führt über verschiedene Stufen der Negation, bei der das gerade verifizierte Wissen wieder in Frage gestellt wird, zu einem Selbstbewusstsein, das letztlich zum absoluten wissen führt (*2)Daher der übergeordnete Titel zu ihren Arbeiten: "Lift up your free Spirit". Allerdings lehnt der Pragmatismus (*3) einen fertigen Zustand im Menschen ab, er sieht ihn vielmehr auf dem permanenten Weg zum Schönen gerade auch in vielen kleinen kleinen Entscheidungen im Alltag. Die dreidimensionalen Papierobjekte der Künstlerin entziehenn sich einer vorschnellen Erfassung. Der Betrachter muss sich zunächst einmal auf eine gwisse Entfernung einlassen, in der er ein fadenförmiges oder auch perforiertes Gebilde aus zusammengefügten, sogenannten "Papercuts" erkennt. Dahinter und daneben setzen sich direkt und indirekt verbundene Strukturen dem Blick in die räumliche Tiefe entgegen. Leitend dabei sind einmal die Form und zum anderen die Farbe. Doch glaubt der Betrachter gerade auf dem Weg zur sicheren Erkundung der Linien aus Papier und Farbe zu befinden, so wird er schnell eines Besseren belehrt, weil sich zum einen die Farbe im weiteren Verlauf der Form entlang der Blickrichtung verändern kann und zum anderen die Form bei konstanter Farbe in der Fläche. Wo der Anfang und das Ende der wahrgenommenen Elemente des Kunstwerkes liegen, wird allein vom Betrachter definiert. Eine vorgegebene Blickführung von einem markanten Ausgangspunkt des Papierobjektes hin zu einem dislozierten Endpunkt ist zwar möglich, wird aber von der Künstlerin gerade nicht gewünscht. Dennoch gibt es Bereiche größerer Dichte und intensiver Farbigkeit und andere, eher transparente und helle Bereiche, die Spielräume für ein individuelles Erlebnis und freie Assoziationen ermöglichen. Wenn der Betrachter mit seinem Blick an einem Punkt verharrt, kann er in den peripheren Bereichen des Sehfeldes die anderen Strukturen zwar unscharf wahrnehmen, bleibt aber in einer zeitlosen Gegenwart mit fixiertem Blick. In diesem Moment scheint die Zeit in der Eigenwahrnehmung still zu stehen. Vergangenheit und Zukunft verlieren ihre Bedeutung. Die Wahrnehmung der Struktur der dreidimensionalen Papierkunst wird total. Er wird meditativ in das Kunstwerk hineingezogen. Viele Menschen kennen dieses Gefühl, wenn sie durch erfüllende Momente in den Bann gezogen werden. Auch hier scheint die Zeit still zu stehen. Die Freiheit des Geistes gilt sowohl für die Künstlerin als auch für die Rezipienten ihrer Kunst. Für die Künstlerin bleibt die Herausforderung eines permanenten Emanzipationsprozesses von der vorgefundenen Traditionen der Älteren (diachron) und von den Moden der Gegenwart bei den Jüngeren (synchron) bestehen, ohne die keine wirkliche Freiheit der Kunst denkbar ist. Im Miterleben dieses Freiheitsmomentes erkennen sich sich die Betrachter eines Kunstwerkes als Teil eines größeren Ganzen, das aus der Geschichte kommend in der Gegenwart immer wieder neu in Frage gestellt wird und mit einem Blick in die Zukunft neue Festlegungen schaft. Freiheit in diesem Sinne schließt einen statischen Wahrheitsbegriff aus, da sonst nur die Freiheit darin zu suchen wäre, möglichst nahe an einen idealen Begriff zu kommen. Die so gefundene Wahrheit ist dennoch keine beliebige Wahrheit. Das fertige Kunstwerk von Regina Reim in seiner räumlichen Struktur sprengt den Rahmen gängiger Wahrnehmungsmuster. Es setzt in seiner Dynamik und Vielfältigkeit kreative Denkanstöße in Gang. Die Interpretation des Gesehenen ist nicht ganz zufällig wie der Psychologe Köhler (*4) bereits vor einem Jahrhundert festgestellt hat, sondern folgt bestimmten Kanten und Längen des betrachteten Objektes und vor allem den tradierten Sehgewohnheiten, die aber kulturellen Kontexten unterliegen und mit unterschiedlichen Freiheitsgraden belegt sind. Es geht Regina Reim aber gerade nicht um die Formulierung eines fertigen Kunstbegriffs, sondern darum, dass der Betrachter sich immer wieder neu erkennen kann, wann immer er sich auf ihre dreidimensionalen Papierarbeiten einlässt. Der Schöpfungsprozess und das narrative Denken haben einen Anfang und ein Ende und damit eine Richtung in der Zeit. Auch der Herstellungsprozess der Objekte von Regina Reim beginnt mit der Verknüpfung der ersten Elemente. Wieder und wieder werden Teile angefügt, bis das Werk vollendet ist. Die Künstlerin durchlebt in dieser Zeit eine Transformation. Auch der sich auf das Kunstwerk einlassende Betrachter durchlebt eine Verwandluung, die seinen weiteren Lebensweg bereichern kann. Regina Reim sieht sich selbst mit ihrer Kunst am Ziel, wenn der Betrachter etwas Eigenständiges oder Erhabenes (*5) in ihren dreidimensionalen Raumgebilden sieht, das über das Sinnlich-Gegenständliche der Welt hinausweist. Dazu Friedrich Schiller: "Das Erhabene verschaftt uns also einen Ausgang aus der sinnlichen Welt, worin uns das Schöne gern immer gefangen halten möchte. Nicht allmählich (denn es gibt von der Abhängigkeit keinen Übergang zur Freiheit), sondern plötzlich und durch die Erschütterung reißt es den selbständigen Geist aus dem Netze los, womit die verfeinerte Sinnlichkeit ihn umstrickte und das umso fester bindet, "je durchsichtiger es gesponnen ist". Dr. phil. Jürgen Grun, München _____________________________________ *1 Adorno, Theodor W: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. 9. Auflage, Darmstadt und Neuwied: Sammlung Luchterhand, 1997 *2 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm: Phänomenologie des Geistes: Mit einem Nachwort von Georg Lukács. Frankfurt: Ullstein Materialien 1983 S. 446 *3 James, William: Pragmatism. New York: Longmans Green, 1907 *4 Köhler, Wolfgang: Gestalt Psychology: An Introduction in Modern Psychology, 1935 *5 Schiller, Friedrich: Sämtliche Werke Band 5. 9. durchgesehene Auflage 1993. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S 799
Über meine Werke In meinem gesamten bisherigem Schaffen lote ich stets die Verbindung zwischen Bildender Kunst, Musik und Tanz/Bewegung aus. Es geht mir um das Entdecken von gemeinsamen Prinzipien und um das Überschreiten der jeweiligen Grenzen. Deshalb haben meine abstrakten Bildschöpfungen in der Malerei und Druckgrafik einen oftmals entgrenzt und sehr dynamisch wirkenden Bildcharakter... Acryl/Leinwand, Ohne Titel, 140 cm x 145 cm. 2014
... Dies führte beinahe zwangsläufig in die 3. Dimension: Im Jahre 2016 begann ich, aus meinen über die Jahrzehnte entstandenen Farbradierungen einzelne Motive mit dem Skalpell herauszulösen (sogenannte Cutouts). Diese fügte ich in einer räumlichen, dreidimensionalen Verbindung zusammen, sodass etwas Dynamisches, unendlich Fortsetzbares entstanden ist, gleich der Vielfalt kosmischer Ereignisse. Allerdings bedurften diese Werke noch eines Objektkastens, der eine Grenze bildete und somit einen gewissen Widerspruch darstellte. Diese Arbeiten entstanden unter dem Eindruck von Johann Sebastian Bachs Komposition "Passacaglia".
"Passacaglia" 110 cm x 60 cm x 10 cm, Papercuts aus Radierungen im Objektkasten, 2016
Die seit 2021 entstehenden "informellen" Papierobjekte und Papierskulpturen sind nun losgelöst von einem begrenzenden Rahmen: sie scheinen im Raum zu schweben, gleich fliegender Wesen:
Papierobjekt, schwebend, "Dancing Spirits", 2022, ca 150 cm x 80 cm x 30 cm
- oder sie streben vom Boden aufwärts:
Papierskulptur, stehend, "Lift up your free Spirit" 2023, 150 cm Höhe
- oder es entstehen in den Raum hineingreifende Wandobjekte:
Papierobjekt "Dancing Spirits", 2022, ca 160 cm x 120 cm x 20 cm Für die Herstellung verwende ich schweres Büttenpapier, das ich teilweise mit Blindprägungn aus zuvor erstellten Cutouts versehe. Die Bliindprägungen und seit neuestem auch frei entwickelte Formen arbeite ich mit dem Skalpell aus und collagiere sie- teilweise zeichnerisch koloriert - als dynamisches Raumobjekt. Mit meinen Werken - bewusst ungegenständlich gehalten und damit einhergehendem Verzicht auf eine verallgemeinerbare Konkretisierung - lade ich zur Selbstreflexion und gewissermaßen zur Teilhabe am Werk ein. Eigene Gedanken, Gefühle und Sichtweisen über das Sein mögen dadurch aktiviert werden. Regina Reim
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